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Pseudoübersetzungen und Migrationliteratur

Wir nennen diejenige Äußerung eine hybride Konstruktion, die ihren grammatischen (syntaktischen) und kompositorischen Merkmalen nach zu einem einzigen Sprecher gehört, in der sich in Wirklichkeit aber zwei Äußerungen, zwei Redeweisen, zwei Stile, zwei "Sprachen", zwei Horizonte von Sinn und Wertung vermischen. Zwischen diesen Äußerungen, Stilen, Sprachen und Horizonten gibt es, wie wir wiederholen, keine formale -- kompositorische und syntaktische -- Grenze; die Unterteilung der Stimmen und Sprachen verläuft innerhalb eines syntaktischen Ganzen, oft innerhalb eines einfachen Satzes, oft gehört sogar ein und dasselbe Wort gleichzeitig zwei Sprachen und zwei Horizonten an, die sich in einer hybriden Konstruktion kreuzen, und sie hat folglich einen doppelten in der Rede differenzierten Sinn [...]"

Um also präzise zu sein, wären solche Übersetzungen, die ihr hybrides Wesen an der Oberfläche sichtbar machen [...] genauer zu bezeichnen als phänotypisch hybrid. [...]

Phänotypisch hybride Übersetzungen wären also durch das Verfahren gekennzeichnet, Elemente des Ausgangstextes und der Ausgangssprache mit Elementen der Zielsprache so zu mischen, daß in der Übersetzung die Mischung als Mischung -- also die Heterogenität ihrer Bestandteile -- erkennbar bleibt. [...]

Denn genotypisch betrachtet ist jede Übersetzung hybrid, differenzieren lassen sich verschiedene Übersetzungen in dieser Hinsicht lediglich im Hinblick darauf, wie deutlich dieses Wesensmerkmal auf der Oberfläche der Über-setzung sichtbar wird -- und das heißt auch, wie deutlich eine Übersetzung sich als eine solche zu erkennen gibt.

(Bohnenkamp, 20)

Literaturhinweise

  • Susan Bassnett: “When is a translation not a translation?” In: Bassnett, Susan und André Lefevere: Constructing Cultures. Essays on Literary Translation. Clevedon: Cromwell Press 1998, 25-40.
  • Michail M. Bachtin: "Das Wort im Roman" [1934/36]: In: Die Ästhetik des Wortes. Hg. u. übers. v. Rainer Grübel. Frankfurt: Suhrkamp 1979, 154-300.
  • Anne Bohnenkamp: „Hybrid statt verfremdend? Überlegungen zu einem Topos der Überseztungstheorie“. In: Peter Colliander u.a. (Hg.): Linguistische Aspekte der Übersetzungewissenschaft. Tübingen: Julius Groos 2004, 9-26.
  • Ian McCall: “Translating the Pseudotranslated: Andrei Makine's La fille d'un héros de l'union soviétique”. In: Forum for Modern Language Studies 42/3 (2006), 286-297.
  • Yoko Tawada: „Metamorphosen der Personennamen“. In: Susan Arndt/ Dirk Naguschewski/ Robert Stockhammer (Hg): Exophonie. Anders-Sprachigkeit (in) der Literatur. Berlin: Kadmos 2007.
  • Yoko Tawada: „Schrift einer Schildkröte oder das Problem der Übersetzung“. In: Verwandlungen. Tübinger Poetik-Vorlesungen. Tübingen: Konkursbuchverlag 1998, 21-40.

Was sind Übersetzungen?

Bei Pseudoübersetzungen bietet also der "übersetzte Text" -- im Gegensatz zu "echten Übersetzungen" -- den einzigen Zugriff zum "Original".

Wie bei Übersetzungen auch wird aus dem vorhandenen Text auf das "Original" geschlossen.

Wie detailliert dieser imaginierte "Originaltext", die imaginierte "Originalkultur" ist, hängt ab von der Differenz des "übersetzten", hybriden Textes zu "normalen" Texten der gleichen Kultur, zur "normalen" Sprache, zu üblichen literarischen Genres.

Bohnenkamp

Was sind Pseudoübersetzungen?

Anne Bohnenkamp: "Hybrid statt verfremdend? Überlegungen zu einem Topos der Überseztungstheorie". In: Peter Colliander u.a. (Hg.): Linguistische Aspekte der Übersetzungewissenschaft. Tübingen: Julius Groos 2004, 9-26 (hier 17).

[Ich möchte] nun vorschlagen, Übersetzungen dieser Art [...] als _hybride_ Übersetzungen zu bezeichnen. [...] Definiens einer hybriden -- und zwar, genauer gesagt, einer phänotypisch hybriden -- Übersetzung wäre die Wahr-nehmbarkeit ihrer heterogenen Herkunft.

1.

the offspring of two animals or plants of different breeds, varieties, species, or genera, esp. as produced through human manipulation for specific genetic characteristics.

2.

a person or group of persons produced by the interaction or crossbreeding of two unlike cultures, traditions, etc.

3.

anything derived from heterogeneous sources, or composed of elements of different or incongruous kinds: a hybrid of the academic and business worlds.

4.

a word composed of elements originally drawn from different languages, as television, whose components come from Greek and Latin.

"hybrid." Dictionary.com Unabridged. Random House, Inc. 10 Jun. 2010. <Dictionary.com http://dictionary.reference.com/browse/hybrid>.

Pseudoübersetzungen sind alle Texte oder Textteile, die ein unverfügbares anderssprachiges Original evozieren. Pseudoübersetzungen sind damit hybrid.

Hybridität von Übersetzungen

Differenz zwischen den Ursprüngen

Zeitliche Differenz:

Ursprung ist vorgängig

Pseudoübersetzungen sind einsprachig mehrsprachig.

Bachtin

Bachtin, Wort im Roman, 195

[Das Ziel der Hybridisierung] ist für Bachtin wesentlich durch seine Funktion bestimmt -- und die besteht in der Herstellung einer als solche wahrnehmbaren Verbindung oder Vermischung unterschiedlicher Stimmen.

(Bohnenkamp 19)

Levý: "Das übersetzte Werk ist ein gemischtes, hybrides Gebilde. Die Übersetzung ist kein einheitliches Werk, sondern die Verschmelzung, das Konglomerat zweier Strukturen: Auf der einen Seite steht der Bedeutungsgehalt und die formale Kontur des Originals, auf der andern Seite das ganze System der an die Sprache gebundenen Züge, die der Übersetzer dem Werk beigegeben hat" [zitiert nach Bohnenkamp, 19]

What may be concluded from this short survey of problematic types of 'translation' is that the category of 'translation' is vague and unhelpful. This has been true for a long time, hence all the quibbling about determining the difference between 'adaptations' and 'versions' and 'imitations', all the arguing about degrees of faithfulness or unfaithfulness and the obsessive concern with the idea of an 'original'.

Bassnett "When is a translation not a translation" 38

Tawada: „Metamorphosen der Personennamen“, 227.

Yoko Tawada: „Schrift einer Schildkröte oder das Problem der Übersetzung“. In: Verwandlungen. Tübinger Poetik-Vorlesungen. Tübingen: Konkursbuchverlag 1998, 35f.

Für mich besteht der Reiz einer Übersetzung darin, daß sie den Leser die Existenz einer ganz anderen Sprache spüren läßt. Die Sprache der Übersetzung tastet die Oberfläche des Textes vorsichtig ab, ohne sich von seinem Kern abhängig zu machen.

Es gibt sogar Text, die wie Übersetzungen wirken, obwohl sie keine sind. Kleist schrieb manchmal solche Texte, auch Kafka. Diese Autoren besaßen die Fähigkeit, eine Übersetzung ohne Original zu schreiben.

Die Stimme eines Autors, der in Migration lebt, wird oft zu schnell auf sein Herkunftsland zurückgeführt. Dadurch wird sie akzeptiert und gleichzeitig ignoriert. Der Autor braucht einen neuen Ort, der nicht seine Herkunft sein kann und an dem er keineswegs integriert werden muss.

Was man aus diesem kurzen Überblick über problematische Formen von Übersetzung schließen kann, ist, daß die Kategorie "Übersetzung" vage und wenig hilfreich ist. Das ist schon seit langer Zeit so, und daher stammen all die Haarspaltereien zur Festlegung der Differenz zwischen "Adaptionen" und "Versionen" und "Imitationen", all die Streitereien über Grade von Treue und Untreue und die obsessive Auseinandersetzung mit der Idee eines "Originals".

Brigitte Rath

Vergleichende Literaturwissenschaft

Universität Innsbruck

brigitte.rath@uibk.ac.at

Kristof (1986)

Agota Kristof, Das große Heft

Kristof, Le grand cahier, 89

Die fremde Sprache

Der Offiziert gibt uns ein Wörterbuch, in dem man seine Sprache lernen kann. Wir lernen die Worte; die Ordonnanz korrigiert unsere Aussprache. Einige Wochen später sprechen wir diese neue Sprache fließend. Wir hören nicht auf, Fortschritte zu machen. Die Ordonanz muß nicht mehr übersetzen. Der Offizier ist sehr zufrieden mit uns.

La langue étrangère

L'officier nous apporte un dictionnaire dans lequel on peut apprendre sa langue. Nous apprenons les mots ; l'ordonnance corrige notre prononciation. Quelques semaines plus tard, nous parlons couramment cette langue nouvelle. Nous ne cessons de faire des progrès. L'ordonnance n'est plus obligé de traduire. L'officier est très content de nous.

L'arrivée des nouveaux étrangers

Un mois après que notre pays a été libéré, c'est partout la fin de la guerre, et les Libérateurs s'installent chez nous, pour toujours, dit-on. Alors nous demandons à Grand-Mère de nous apprendre leur langue. Elle dit :

-- Comment voulez-vous que je vous l'apprenne? Je ne suis pas un professeur.

Nous disons :

-- C'est simple, Grand-Mère. Vous n'avez qu'à nous parler dans cette langue toute la journée et nous finirons par la comprendre.

Bientôt nous en savons assez pour servir d'interprètes entre les habitants et les Libérateurs.

Kristof, Le grand cahier, 142f

Die Ankunft der neuen Fremden

Einen Monat nachdem unser Land befreit worden ist, ist überall Kriegsende, und die Befreier lassen sich bei uns nieder, für immer, sagt man. Daher bitten wir Großmutter, uns ihre Sprache zu lehren. Sie sagt:

"Wie soll ich sie Euch beibringen? Ich bin kein Lehrer."

Wir sagen:

"Das ist einfach, Großmutter. Sie müssen nur den ganzen Tag lang in dieser Sprache mit uns sprechen, und am Ende verstehen wir sie."

Bald können wir sie gut genug, um als Übersetzer zwischen den Einwohnern und den Besatzern zu dienen.

"einsprachig allsprachig"

Makine (1990)

Moers (2007)

Makine (1995)

Hughart (1984)

Andreï Makine: Le testament français

Barry Hughart: Bridge of Birds.

A Novel of an Ancient China That Never Was

Raja Rao (1938)

The Village of Ku-fu

I shall clasp my hands together and bow to the corners of the world.

My surname is Lu and my personal name is Yu, but I am not to be confused with the eminent author of The Classic of Tea. My family is quite undistinguished, and since I am the tenth of my father's sons and rather strong I am usually referred to as Number Ten Ox. My father died when I was eight. A year later my mother followed him to the Yellow Springs Beneath the Earth, and since then I have lived with Uncle Nung and Auntie Hua in the village of Ku-fu in the valley of Cho. [Anfang]

Makine, Französisches Testament, 62.

Defoe (1719)

Rao, Kanthapura, Preface [excerpts]

Daniel Defoe: Farther Adventures of Robinson Crusoe

Our village -- I don't think you have ever heard about it - Kanthapura is its name, and it is in the province of Kara. High on the Ghats is it, high up the steep mountains that face the cool Arabian seas, up the Malabar coast is it, up Mangalore and Puttur and many a centre of cardamom and coffee, rice and sugarcane. Roads, narrow, dusty, rut-covered roads, wind through the forests of teak and of jack, of sandal and of sal, and hanging over bellowing gorges and leaping over elephant-haunted valleys, they turn now to the left and now to the right and bring you through the Alambè and Champa and Mena and Kola passes into the great granaries of trade. There, on the blue waters, they say, our carted cardamoms and coffee get into ships the Red-men bring, and so they say, they go across the seven oceans into the countries where our rulers live.

One such story from the contemporary annals of my village I have tried to tell.

The telling has not been easy. One has to convey in a language that is not one's own the spirit that is one's own. One has to convey the various shades and omissions of a certain thought-movement that looks maltreated in an alien language. [...]

The tempo of Indian life must be infused into our English expression, even as the tempo of American or Irish life has gone into the making of theirs. [...] We have neither punctuation nor the treacherous 'ats' and 'ons' to bother us - we tell one interminable tale. [...] I have tried to follow it myself in this story.

It may have been told of an evening, when as the dusk falls, and through the sudden quiet, lights leap up in house after house, and stretching her bedding on the veranda, a grandmother might have told you, newcomer, the sad tale of her village.

Rao Kanthapura 1 [Anfang]

Makine, Testament 38

Makine, französisches Testament, 38

Neuilly-sur-Seine était composée d'une douzaine de maisons en rondins. De vraies isbas avec des toits recouverts de minces lattes argentées par les intempéries d'hiver, avec des fenêtres dans des cadres en bois joliment ciselés, des haies sur lesquelles séchait le linge.

[...]

- Oh! Neuilly, à l'époque, était un simple village...

Elle l'avait dit en français, mais nous, nous ne connaissions que les villages russes. Et le village en Russie est nécessairement un chapelet d'isbas - le mot même _dérevnia_ vient de _dérévo_ -l'arbre, le bois.

Neuilly-sur-Seine bestand aus einem guten Dutzend Holzhäusern, echten russischen Isbas, umgeben von Zäunen, auf denen Wäsche trocknete, unter Dächern, die mit schmalen Holzlatten gedeckt und durch die Unbilden der Witterung im Winter silbergrau geworden waren, und mit Fenstern in hübschen, von Holzschnitzereien verzierten Rahmen.

[...]

"Ja, damals war Neuilly noch ein einfaches Dorf..."

Sie hatte französisch gesprochen, aber wir kannten nur russische Dörfer. Und in Russland ist ein Dorf nun einmal eine Ansammlung von Isbas - sogar das Wort _derewnja_ (Dorf) kommt von _derewo_ (Baum, Gehölz).

Donc, je voyais autrement! Était-ce un avantage? Ou un handicap, une tare? Je n'en savais rien. Je crus pouvoir expliquer cette double vision par mes deux langues: en effet, quand je prononçais en russe '#', un tyran cruel se dressait devant moi; tandis que le mot 'tsar' en français s'emplissait de lumières, de bruits, de vent, d'éclats de lustres, de reflets d'épaules féminines nues, de parfums mélangés - de cet air inimitable de notre Atlantide.

Makine, testament, 58f

Herr Georges Martinowsky, Dozent des Russischen, hat sich einverstanden erklärt, das Manuskript dieses Romans sowie seine Übersetzung durchzusehen. Möge er hier die Danksagungen des Autors und der Übersetzerin finden für seine Anmerkungen, die für sie ausgesprochen wertvoll waren.

Hermann Hesse, Siddhartha. Eine indische Dichtung

Cooper (1826)

Sinha (2007)

„Eines Tages erzählte er von einem kleinen See in der Taiga, der elf von zwölf Monaten im Jahr zugefroren war. Nach dem Willen des Lagerkommandanten wurde sein Grund zum Friedhof: Das war einfacher, als im Dauerfrost Gräber auszuheben. Und die Häftlinge starben wie die Fliegen…

‚Einmal wollten wir im Herbst zehn oder fünfzehn ins Wasser schmeißen. Es gab dort ein Loch im Eis. Da habe ich all die anderen gesehen, die Toten von früher. Sie waren nackt. Ihre Klamotten hatte man natürlich behalten. Ja, sie lagen nackt unter dem Eis ohne die geringste Spur von Verwesung. Fast wie ein Stück _Cholodet_!‘

Das Wort _Cholodet_, Eisbein in Sülze – ein Teller davon stand gerade auf unserem Tisch –, wurde ein grauenhaftes Wort für mich, denn in seinem markerschütternden Klang waren Eis, Fleisch und Tod vereint.“ (200f)

James Fenimore Cooper: The last of the Mohicans

Indra Sinha: Animal's People

Hesse, Siddhartha (1922)

Burton (1880)

‘Even your traditions make the case in my favour, Chingachgook,’ he said, speaking in the tongue which was known to all the natives who formerly inhabited the country between the Hudson and the Potomac, and of which we shall give a free translation for the benefit of the reader; endeavoring, at the same time, to preserve some of the peculiarities, both of the individual and of the language. ‘Your fathers came from the setting sun, crossed the big river, fought the people of the country, and took the land; and mine came from the red sky of the morning, over the salt lake, and did their work much after the fashion that had been set them by yours; then let God judge the matter between us, and friends spare their words!’

Notiz des Herausgebers

Der Sohn des Brahmanen.

Im Schatten des Hauses, in der Sonne des Flußufers bei den Booten, im Schatten des Salwaldes, im Schatten des Feigenbaumes wuchs Siddhartha auf, der schöne Sohn des Brahmanen, der junge Falke, zusammen mit Govinda, seinem Freunde, dem Brahmanensohn. Sonne bräunte seine lichten Schultern am Flußufer, beim Bade, bei den heiligen Waschungen, bei den heiligen Opfern. Schatten floß in seine schwarzen Augen im Mangohain, bei den Knabenspielen, beim Gesang der Mutter, bei den heiligen Opfern, bei den Lehren seines Vaters, des Gelehrten, beim Gespräch der Weisen. Lange schon nahm Siddhartha am Gespräch der Weisen teil, übte sich mit Govinda im Redekampf, übte sich mit Govinda in der Kunst der Betrachtung, im Dienst der Versenkung. Schon verstand er, lautlos das Om zu sprechen, das Wort der Worte, es lautlos in sich hineinzusprechen mit dem Einhauch, es lautlos aus sich herauszusprechen mit dem Aushauch, mit gesammelter Seele, die Stirn umgeben vom Glanz des klar denkenden Geistes. Schon verstand er, im Innern seines Wesens Atman zu wissen, unzerstörbar, eins mit dem Weltall.

"I was absolutely bowled over by [Animal's People]. In the narrator, Animal, Sinha's created a character who's as original and memorable in his own way as Holden Caulfield [...]".

„Nicht mehr wissend, ob es Zeit gebe, ob seine Schauung eine Sekunde oder hundert Jahre gewährt habe, nicht mehr wissend, ob es einen Siddhartha, ob es einen Gotama, ob es Ich und Du gebe, im Innersten wie von einem göttlichen Pfeile verwundet, dessen Verwundung süß schmeckt, im Innersten verzaubert und aufgelöst, stand Govinda noch eine kleine Weile, über Siddharthas stilles Gesicht gebeugt, das er soeben geküßt hatte, das soeben Schauplatz aller Gestaltungen, alles Werdens, alles Seins gewesen war. […]

Tief verneigte sich Govinda, Tränen liefen, von welchen er nichts wußte, über sein altes Gesicht, wie ein Feuer brannte das Gefühl der innigsten Liebe, der demütigen Verehrung in seinem Herzen. Tief verneigte er sich, bis zur Erde, vor dem regungslos Sitzenden, dessen Lächeln ihn an alles erinnerte, was er in seinem Leben jemals geliebt hatte, was jemals in seinem Leben ihm wert und heilig gewesen war.“ (Hesse, Siddhartha, 120f [Ende])

„‘Mögest du mir, o Erhabener, nicht zürnen‘, sagte der Jüngling. ‚Nicht um Streit mit dir zu suchen, Streit um Worte, habe ich so zu dir gesprochen. Du hast wahrlich recht, wenig ist an Meinungen gelegen. Aber laß mich dies eine noch sagen: Nicht einen Augenblick habe ich an dir gezweifelt. Ich habe nicht einen Augenblick gezweifelt, daß du Buddha bist, daß du das Ziel erreicht hast, das höchste, nach welchem so viel tausend Brahmanen und Brahmenensöhne unterwegs sind. Du hast die Erlösung vom Tode gefunden. Sie ist dir geworden aus deinem eigenen Suchen, auf deinem eigenen Wege, durch Gedanken, durch Versenkung, durch Erkenntnis, durch Erleuchtung. Nicht ist sie dir geworden durch Lehre! Und – so ist mein Gedanke, o Erhabener – keinem wird Erlösung zuteil durch Lehre! Keinem, o Erwürdiger, wirst du in Worten und durch Lehre mitteilen und sagen könne, was dir geschehen ist in der Stunde deiner Erleuchtung! Vieles enthält die Lehre des erleuchteten Buddha, viele lehrt sie, rechtschaffen zu leben, Böses zu meiden. Eines aber enthält die so klare, die so ehrwürdige Lehre nicht: sie enthält nicht das Geheimnis dessen, was der Erhabene selbst erlebt hat, er allein unter den Hunderttausenden. […] Oftmals aber werde ich dieses Tages gedenken, o Erhabener, und dieser Stunde, da meine Augen einen Heiligen sahen.“

‚Nicht steht mir zu, über eines anderen Leben zu urteilen! Einzig für mich, für mich allein muß ich urteilen, muß ich wählen, muß ich ablehnen.‘“

Hesse, Siddhartha,7 [Anfang]

Hesse, Siddhartha, 31f

Coetzee (2009)

Francis Burton: The Kasîdah of Hâjî Abdû El-Yezdî

or Lay of the Higher Law. Translated and annotated by his friend and pupil, F.B.

New York: Knopf 1924 [1880]

Here ends my share of the work. In the whole it has been considerable. I have omitted, as has been seen, sundry stanzas, and I have changed the order of others. The text has nowhere been translated verbatim; in fact, a familiar European turn has been given to many sentiments which were judged to be too Oriental. As the metre adopted by Hâjî Abdû was the Bahr Tawîl (long verse), I thought it advisable to preserve that peculiarity, and to fringe it with the rough, unobtrusive rhyme of the original.

Vive valeque!

Kipling (1901)

Diese Geschichte wurde in Hindi von einem neunzehnjährigen Jungen auf eine Reihe von Kassetten aufgenommen. Dem Übereinkommen gemäß, das der Junge und der Journalist, der sich mit ihm angefreundet hatte, getroffen haben, wird die Geschichte vollständig in den Worten des Jungen erzählt, wie sie auf den Kassetten aufgezeichnet waren. Abgesehen von der Übersetzung ins Englische wurde nichts verändert. Schwierige Ausdrücke, die sich als Französisch herausstellten, werden orthographisch korrekt wiedergegeben, um sie leichter verständlich zu machen.

Montesquieu (1721)

"Animal's People hat mich total umgehauen. Mit dem Erzähler, Animal, hat Sinha einen Charakter erschaffen, der auf seine Art so originell und eindrücklich ist wie Holden Caulfield [...]."

Rudyard Kipling: Kim

Coetzee, Summertime 173

But it is getting late. Your colleague must be exhausted. Yes, I know how it is, being a translator. It looks easy from the outside, but the truth is you have to pay attention all the time, you cannot relax, the brain gets fatigued. So we stop here. Switch off your machine.

Aber es wird spät. Ihr Kollege wird erschöpft sein. Ja, ich weiß, wie es ist, Übersetzer zu sein. Es sieht von außen einfach aus, aber in Wirklichkeit muß man die ganze Zeit konzentriert sein, man kann nicht entspannen, das Hirn wird müde. Wir hören also hier auf. Schalten Sie Ihre Maschine aus.

Bassnett "When is a translation not a translation" 38

Burton's Kasidah claims to be a translation, indeed a scholarly translation, but it is not. Or is it? We may well speculate that he could not have written it at all if he had not known Arabic so well and tried so hard to write his own Arabic text in English. Burton was effectively inventing his own work as a translation.

Klappentext Suhrkamp (Auflage 1974):

„In dieser fiktiven Lebensgeschichte Buddhas (Siddhartha war sein Vorname) suchte Hesse zu ergründen, 'was allen Konfessionen und menschlichen Formen der Frömmigkeit gemeinsam ist, was über allen nationalen Verschiedenheiten steht, was von jeder Rasse und von jedem Einzelnen geglaubt werden kann.'

Wie authentisch diese indische Dichtung buddhistisches und taoistisches Gedankengut assimiliert hat, zeigt sich nicht nur stilistisch in der rhythmischen Diktion der Reden Buddhas, sondern auch wirkungsgeschichtlich durch die millionenhafte Verbreitung, die das Buch in den asiatischen Ländern gefunden hat. Nur eine jahrzehntelange Vertrautheit mit den kulturellen Traditionen Indiens und der altchinesischen Philosophie von Lao Tse vermochte das Komplizierte auf so gültige Weise zu vereinfachen.“

Burtons Kasidah gibt sich als eine Übersetzung, sogar als eine wissenschaftliche Übersetzung aus, aber sie ist es nicht. Oder doch? Wir können sehr wohl darüber spekulieren, daß er sie überhaupt nicht hätte schreiben können, wenn er nicht so gut Arabisch gekonnt hätte und so nachdrücklich versucht hätte, seinen eigenen arabischen Text auf Englisch zu schreiben. Burton hat im Endeffekt sein eigenes Werk als Übersetzung erdacht.

Sie sagen mir, daß er mich liebte sogar nachdem ich ihn wegschickte, sogar nachdem ich vergessen hatte, daß er überhaupt existierte. Ist es das, was sie mit Stetigkeit meinen? Denn mir scheint das einfach dumm.

Coetzee, Summertime 197

I think he was dogged. A very English word. Whether there is an equivalent in Portuguese I don’t know. Like a bulldog that grips you with his teeth and does not let go.

Ich glaube, er war 'dogged'. Ein sehr englisches Wort. Ich weiß nicht, ob es ein entsprechendes im Portugiesischen gibt. Wie eine Bulldogge die Dich mit den Zähnen packt und nicht losläßt.

You tell me he was in love with me even after I sent him away, even after I forgot he even existed. Is that what you mean by steadiness? Because to me it just seems stupid.

If you say so, then I must believe you. But being like a dog – is that admirable, in English?

Wenn Sie das sagen, dann muß ich Ihnen glauben. Aber wie ein Hund zu sein -- ich das bewundernswert, auf Englisch?

Trojanow (2007)

Susan Bassnett: “When is a translation not a translation?” In: Bassnett, Susan und André Lefevere: Constructing Cultures. Essays on Literary Translation. Clevedon: Cromwell Press 1998, 32f.

Now the text has indeed nowhere been translated verbatim, because it has never been translated at all. [...] What we have is a writer who spent a lifetime translating texts from a range of different languages, and who tried his hand at writing a text that could not be written from within his own literary system. It had to be seen to be a translation, because otherwise it would have no place in the English system. This might mean that it could be termed an imitation, but the extensive notes, which are not in any way ironic and are to be taken seriously, appear to be included to grant greater authenticity to the poem. Burton seems to have used the device of the fictitious translation both to grant greater status to the poem and also to allow him to write in a way that the English literary system would not have permitted. Calling it a translation also enabled him to include the detailed notes that he seems to have enjoyed writing most. He would hardly have been able to provide a similar annotation system to his own writing. He had to pretend that he was someone other than the creator of his own text in order to present that text in the way he wanted.

Presently the Colonel sent for him, and talked for a long time. So far as Kim could gather, he was to be diligent and enter the survey of India as a chain-man. If he were very good, and passed the proper examinations, he would be earning thirty rupees a month at seventeen years old, and Colonel Creighton would see that he found suitable employment.

Kim pretended at first to understand perhaps one word in three of this talk. Then the Colonel, seeing his mistake, turned to fluent and picturesque Urdu and Kim was contented. [...]

‘Yes, and thou must learn how to make pictures of roads and mountains and rivers, to carry these pictures in thine eye till a suitable time comes to set them upon paper. Perhaps some day, when thou art a chain-man, I may say to thee when we are working together: "Go across those hills and see what lies beyond." Then one will say: "There are bad people living in those hills who will slay the chain-man if he be seen to look like a Sahib." What then?’ (Kipling, 1901/1993: 106f)

“_do the trick_ (those were the words they [the doctors treating her husband] used)” (179)

“No, I did not have, to use your [the interviewer’s] word, _relations_ with Mr Coetzee” (170)

“_Movement in stillness, stillness in movement._ That was another phrase I puzzled my head over. What did he [“Coetzee”] mean, and why was he writing these things to me?” (175)

Introduction

Je ne fais point ici d'épître dédicatoire, et je ne demande point de protection pour ce livre: on le lira, s'il est bon; et, s'il est mauvais, je ne me soucie pas qu'on le lise.

J'ai détaché ces premières lettres pour essayer le goût du public; j'en ai un grand nombre d'autres dans mon portefeuille, que je pourrai lui donner dans la suite.

Mais c'est à condition que je ne serai pas connu car si l'on vient à savoir mon nom, dès ce moment je me tais. Je connais une femme qui marche assez bien, mais qui boite dès qu'on la regarde. C'est assez des défauts de l'ouvrage sans que je présente encore à la critique ceux de ma personne. Si l'on savait qui je suis, on dirait: "Son livre jure avec son caractère; il devrait employer son temps à quelque chose de mieux; cela n'est pas digne d'un homme grave." Les critiques ne manquent jamais ces sortes de réflexions, parce qu'on les peut faire sans essayer beaucoup son esprit.

Les Persans qui écrivent ici étaient logés avec moi nous passions notre vie ensemble. Comme ils me regardaient comme un homme d'un autre monde, ils ne me cachaient rien. En effet, des gens transplantés de si loin ne pouvaient plus avoir de secrets. Ils me communiquaient la plupart de leurs lettres; je les copiai. J'en surpris même quelques-unes dont ils se seraient bien gardés de me faire confidence, tant elles étaient mortifiantes pour la vanité et la jalousie persane.

Je ne fais donc que l'office de traducteur: toute ma [6] peine a été de mettre l'ouvrage à nos moeurs. J'ai soulagé le lecteur du langage asiatique autant que je l'ai pu, et l'ai sauvé d'une infinité d'expressions sublimes, qui l'auraient ennuyé jusque dans les nues.

Mais ce n'est pas tout ce que j'ai fait pour lui. J'ai retranché les longs compliments, dont les Orientaux ne sont pas moins prodigues que nous, et j'ai passé un nombre infini de ces minuties qui ont tant de peine à soutenir le grand jour, et qui doivent toujours mourir entre deux amis.

Si la plupart de ceux qui nous ont donné des recueils de lettres avaient fait de même, ils auraient vu leurs ouvrages s'évanouir.

Il y a une chose qui m'a souvent étonné: c'est de voir ces Persans quelquefois aussi instruits que moi-même des moeurs et des manières de la nation, jusqu'à en connaître les plus fines circonstances, et à remarquer des choses qui, je suis sûr, ont échappé à bien des Allemands qui ont voyagé en France. J'attribue cela au long séjour qu'ils y ont fait: sans compter qu'il est plus facile à un Asiatique de s'instruire des moeurs des Français dans un an, qu'il ne l'est à un Français de s'instruire des moeurs des Asiatiques dans quatre, parce que les uns se livrent autant que les autres se communiquent peu.

L'usage a permis à tout traducteur, et même au plus barbare commentateur, d'orner la tête de sa version, ou de sa glose, du panégyrique de l'original, et d'en relever l'utilité, le mérite et l'excellence. Je ne l'ai point fait: on en devinera facilement les raisons. Une des meilleures est que ce serait une chose très ennuyeuse, placée dans un lieu déjà très ennuyeux de lui-même, je veux dire une Préface.

Marana (1684ff)

L'espion dans les cours des princes chrétiens

Grand Affairs of Europe (1702)

„Il Aum Pashinaaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha Il

- Gestern war kein ergiebiger Tag. Ich habe am Abend die Aufzeichnungen durchgesehen, es war kaum etwas Brauchbares darunter.

[…]

- Du legst eine unnötige Scham an den Tag, wirklich. Es weiß doch jeder in der Stadt, die Angrezi ohne Ehefrauen nahmen sich Konkubinen, jeder von ihnen hat eine Bubu. Du hast dem Firengi also eine Geliebte beschafft.

- Woher wissen Sie das?

- Selbst wo die Sonne nicht hingelangt, dort kommt der Dichter hin. Was also willst du mir verheimlichen?

[…]

- Ich will heute nicht reden. Ich werde gehen.

- Ohne mein Einverständnis…

- Ao-jo. Wir sehen uns morgen.

- Du bist ein Narr. Ich bin der einzige, der dir helfen kann, deine Dummheit zu verkleiden. Hörst du, du Narr.“ (Trojanow, Der Weltensammler, 72f)

Defoe? (1718)

A Continuation of Letters written by a Turkish Spy at Paris

außerfiktional

Fiktionalität:

fiktional

Gesamter Text

Text plus Paratexte

Skopus:

Teil(e) eines Textes

quer dazu:

Figuren

Erzähler?

fiktiver Autor

Wessen Sprechen wird "übersetzt"?

gibt es einen fiktiven Übersetzer?

Autor

Spektrum von Pseudoübersetzungen